Gestern im Zug habe ich eine Todsünde begangen. Ich habe mich an einem Freitagabend von Aarau her kommend im Stossverkehr über zwei Sitze ausgebreitet und mich im HB Zürich nicht auf einen Sitz reduziert. Der Zug füllte sich zunehmends, doch ich fand, so lange die beiden Herren im Abteil nebenan nur zu zweit waren und wir schon zu dritt, müsse ich meinen zweiten Platz nicht hergeben. Prompt kam ein Herr so Ende Vierzig und sagte in giftigem Ton: „Ist da noch frei oder haben Sie zwei Plätze bezahlt?“ Dann beging ich die zweite Todsünde: Ich wies den Herrn darauf hin, dass im Abteil nebenan noch reichlich Platz frei sei. Das ging natürlich gar nicht. Der Endvierziger legte jetzt erst richtig los und erteilte mir in schulmeisterlichem Ton eine Lektion über Anstand und richtiges Verhalten beim Pendeln. Ich maulte noch ein bisschen rum, weil mich sein Ton nervte, räumte aber meine Sachen weg, denn in der Sache hatte er ja recht. Der Herr setzte sich, nicht ohne mir ein siegesbissiges „Danke“ zuzusäuseln. Als er sich installiert hatte, zog er – wie hätte es anders sein können – einen Stapel Aufsatzhefte seiner Schüler aus seinem Rucksack. Mit rotem Filzstift begann er die Aufsätze zum Thema „Ist das Handy gut oder schlecht?“ zu korrigieren. Ich feixte von einem Ohr zum anderen: Ich wusste doch, dass das ein Lehrer sein musste! Dann guckte ich ihm eine Weile beim Korrigieren zu, denn schliesslich ist der Schulmeister nicht der Einzige, der an einer Déformation professionelle leidet. Und ich muss sagen, er war mit seinen Schülerinnen und Schülern beim Korrigieren bedeutend gnädiger als mit seinen Mitreisenden beim Lektorieren.
SIEGESBISSIG
dieses wort muss ich mir merken :-)!
danke!
grüessli
martin
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