Ein neues Zeitalter

Die Ostertage in Rom haben es deutlich gezeigt: Die Ausziehbaren Stangen, mittels denen man ohne fremde Hilfe ein Bild von sich machen kann, sind offenbar ein absolutes „Must-have“. Vorbei sind die guten alten Zeiten, in denen ein Selfie an den verzogenen Gesichtern zu erkennen war, die so ulkig an Kaulquappen erinnerten. Das Zeitalter der Selfie-Sticks ist definitiv angebrochen und mit ihm hat das Selfie eine neue Qualitätsstufe erreicht. Wortwörtlich an jeder Ecke Roms werden einem diese Selfie-Dinger auffordernd unter die Nase gehalten. Und der römische Markt für Selfie-Sticks gehört ganz den tamilischen Strassenhändlern. Erst hatte ich ja noch Mitleid mit den Armen Teufeln, die sich auf diese Art ihr Brot verdienen müssen. Und so sagte ich jeweils freundlich „No grazie“ und lächelte sie dabei an. Irgendwie wurde diese Form der Zurückweisung missverstanden; die Händler rückten mir nur noch mehr auf die Pelle. Also liess ich bald das Lächeln weg. Schon im Laufe des ersten Nachmittags blieb auch das „grazie“ auf der Strecke, sodass irgendwann nur noch ein genervtes „No!“ übrig blieb. Am zweiten Tag zog ich ernsthaft in Erwägung, sämtliche Selfie-Sticks Roms aufzukaufen, um diesem lästigen Treiben ein Ende zu setzen. Nach reiflicher Überlegung kam ich aber zum Schluss, dass das nichts bringen würde. Die Selfie-Sticks würden ganz einfach ratzfatz durch andere Produkte ersetzt. Etwa durch wabbelige bunte Figuren in der Form von Erdbeeren mit Gesicht. Solche wurden uns auf der Spanischen Treppe von Strassenhändlern vor die Füsse geklatscht. Erst bildete sich eine schleimige Pfütze, dann schrumpelte die Masse wie durch Zauberhand wieder in ihre ursprüngliche Form zurück. Nein, dann also doch lieber Selfie-Sticks! Ich muss aber sagen, dass die Selfie-Sticks die Kommunikation in Rom nicht gerade verbesserten. Vom zweiten Tag an begann ich nämlich, die Strassenhändler komplett zu ignorieren, sodass die Dialoge im Stil von „Hello, Madam!“ und „No grazie!“ ganz verebbten. Es gab nicht mal mehr Blickkontakt. Und die beiden Male als meine Freundinnen und ich andere Touristen baten, von uns dreien ein Foto zu machen, stiessen wir auf grossen Unwillen. Wozu soll man sich von Wildfremden anquatschen lassen und sie fotografieren, wenn sie ihr Selfie doch selbst mittels Selfie-Stick schiessen können? Da sagten sich die Touristen doch nicht ganz zu Unrecht: Stick your Kommunikation sonstwo hin und do it yourselfie!

4 Gedanken zu “Ein neues Zeitalter

  1. Regina schreibt:

    Ich finde du gehst mit den Straßenhändlern ein bisschen zu hart ins Gericht. Immerhin haben sie auch halb Rom mit durchaus nützlichen Regenschirmen versorgt ☔️☔️☔️

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  2. Zirpe schreibt:

    Es ist doch genau so, wie Du es zum Schluss beschreibst: Immer weniger Kontakt zu anderen, bloß nicht um Hilfe bitten. Früher hat sich daraus oft eine kurze nette Kontaktaufnahme ergeben. Der Mensch hat eben doch eine Insel zu sein, entweder mit Knopf im Ohr oder mit Selfie-Stab im Anschlag…

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