Eigentlich war sie gar nicht so, die Sudoku. Sie war mit ihren Kolleginnen per Du und behandelte alle gleich. Egal, ob sie von der Kategorie „einfach“, „mittel“ oder „schwer“ waren. Schliesslich waren sie alle für irgendwen wichtig. Sie dienten den Menschen nicht nur zum Zeitvertreib sondern brachten sie zum Knobeln und verschafften ihnen zum Schluss, wenn alles gut ging, ein Erfolgserlebnis.
Da geschah es eines Tages, dass die Sudoku eine Kollegin, eine Kategorie „einfach“ vom „Zürcher Oberländer“, nicht grüsste. Ja, sie ging ganz einfach erhobenen Hauptes an ihr vorbei, ohne ein Wort zu sagen, nicht einmal zu einem Nicken oder Zwinkern liess sie sich hinreissen. Die Einfache aus dem „Zürcher Oberländer“ war empört. Wer glaubte diese schwere NZZ-Tussi eigentlich, wer sie war? So etwas war ihr im Leben noch nicht untergekommen! Sie ging schnurstracks zu ihrer Freundin, auch eine Einfache aus der „Südostschweiz“, und erzählte ihr, was geschehen war. Die wiederum erzählte es ihrer Schwester und diese ihrem Mann.
Es ging nicht lange und die ganze Sudoku-Comunity war in Aufruhr. Die Sudokus wussten nicht nur alle von dem Vorfall, sie begannen auch, Partei zu ergreifen. Während die Einfachen völlig empört waren, fanden manche Mittlere, es gebe halt schon gewisse Unterschiede und die Schweren fühlten sich erst recht überlegen. Und so entstand ein regelrechter Klassenkampf: die Einfachen kämpften gegen die Mittleren und die Mittleren gegen die Schweren. Als ob das nicht genug gewesen wäre, begannen sich auch noch die aus den Regionalzeitungen gegen die Sudokus der nationalen Zeitungen aus den grossen Verlagshäuern zu erheben.
Die Sudoku beobachtete das alles mit grosser Sorge. Für gewöhnlich waren Sudokus freundlich und hilfsbereit. Sie waren von Natur aus harmoniebedürftige Wesen und mochten keine Ungleichheiten. Sie allein war Schuld, dass das nun alles aus dem Gleichgewicht gekommen war. Was war nur in sie gefahren? Sie war einfach nicht sich selbst gewesen.
In ihrer Not ging die Sudoku zum Arzt. Dieser untersuchte sie lange. Hin und wieder murmelte er ein „Su su“ oder „do do“. Als er fertig war, lächelte er die Sudoku freundlich an. „Meine liebe Sudoku: Sie sind in den Wechseljahren.“ „Ist das etwas Schlimmes?“, wollte die Sudoku wissen. „Wie man’s nimmt“, der Arzt sah sie nachdenklich an. „Eigentlich nicht, aber es kann halt schon zu seelischen und emotionalen Wechselbädern und zu Gedächtnisstörungen kommen. Bei Sudokus ist das mit gewissen Problemen verbunden… “ Die Sudoku war bestürzt. „Dann geben sie mir bitte etwas dagegen, jetzt sofort!“ Der Arzt hatte seine liebe Mühe, die Sudoku wieder zu beruhigen. Er erklärte ihr, dass das nicht so einfach sei und stellte ihr mögliche Therapieformen vor. Die Sudoku war wenig überzeugt. Eine Hormontherapie kam für sie nicht in Frage, Aminosäuren schon eher, aber an die Wirkung von Mönchspfeffer glaubte sie nicht.
Die Sudoku entschied sich gegen eine Therapie. Stattdessen entschuldigte sie sich in einem offenen Brief in sämtlichen Zeitungen bei allen Sudokus, für ihr Nichtgrüssen. „Ich leide an Wechseljahren und wusste in dem Moment nicht, was ich tat.“ Der offene Brief wurde in der Sudoku-Community mit Erleichterung aufgenommen. Es gab eine Erklärung für das Nichtgrüssen der Sudoku. Langsam rückte alles wieder an seinen Platz und die Sudoku-Community fand zu ihrer alten Harmonie zurück. Das freute die Sudoku sehr. Trotzdem hatte sie für sich entschieden, neue Wege zu gehen. Wer wusste, wann sie wieder eine emotionales Wechselbad oder einen Gedächtnisverlust erlitt? Eine Sudoku-Revolution wollte sie nicht noch einmal riskieren. Und so verliess die Sudoku die Sudoku-Community und verbrachte ihre zweite Lebenshälfte als Kreuzworträtsel.