Das T(rocknungs)rauma

Im norwegischen Nationalpark Jotunheim, wo ich eine Woche durchs Gebirge wanderte, war an Schlaf kaum zu denken. Im Juli war es dort fast die ganze Nacht hell, vom sperrangelweit geöffneten Fenster her zog es, Türen schlugen, ständig waren Schritte auf dem Flur zu hören, die Betten knarzten bei jeder Bewegung und die Zimmergenossinnen schnarchten und furzten im Schlaf, dass es eine Geräuschkulisse war, wie man sie sonst wahrscheinlich nur im Zoo antrifft. All das steckte ich nach den langen Touren durch Bäche, über Schneefelder und Geröll jedoch locker weg. Die wahre Ursache für meine norwegische Insomnia war der Trocknungsraum. Auf der 7-tägigen Hüttentour, auf der wir unser ganzes Gepäck mittrugen, hatte ich nämlich nebst dem Hüttenkoller ein wahres T(rocknungst)rauma entwickelt.

Der Trocknungsraum gehört zur Standardausrüstung einer bedienten norwegischen Berghütte und ist sowohl das Beste als auch das Grauenvollste, das man sich vorstellen kann. Kam unsere Wandergruppe nämlich  früh in der Hütte an, hatten wir Platz und Zeit, um unsere nassen Kleider im Trocknungsraum aufzuhängen. Wir breiteten unsere Sachen schön aus, damit sie rumpffrei hingen, sich nicht berührten, nah beim Gebläse waren und so möglichst schnell trocknen konnten. Kamen wir etwas später an, wurde es schon schwieriger, ein freies Plätzchen für unsere Jacken, Hosen, Socken und Schuhe zu finden. Und kamen wir spät an, so waren wir gezwungen, die schon hängenden Sachen zusammenzuschieben und unsere Sachen auf Kleiderbügeln irgendwie dazwischen zu platzieren oder über andere Kleidungsstücke zu hängen. Bis Unterhosen, Zeltmatten, Nylonstrümpfen, Mützen und Schuhen beieinander hingen, lagen und standen. Eigentlich spielte es aber gar keine Rolle, wann man ankam, denn zum Schluss hing sowieso immer alles kreuz und quer übereinander und man war von der ständigen Sorge gequält, die Socken oder Schuhe würden bis zum nächsten Morgen nicht richtig trocknen. Kam noch die Sorge hinzu, jemand könnte versehentlich die falschen Socken, Schuhe oder Unterhosen mitnehmen. Zu diesem Psycho-Stress kam die physische Strapaze, die der Trocknungsraum mit sich brachte. Die Geruchskulisse, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, war nämlich von einer Art, dass ich meine Sachen morgens nie auf nüchternen Magen einsammelte. 

Und so stand ich die ganze Woche unter einer leichten Anspannung, die sich in einer latenten Insomnia äusserte und erst am letzten Morgen löste. Ich hatte es geschafft, eine Woche lang meine Sachen jeden Morgen trocken aus dem Trocknungsraum zu bergen. Und ich muss sagen, dass ein Trocknungsraum – wenn alles gut geht – eine Prima Sache ist. Falls ich aber wieder einmal so eine Tour mache, werde ich mir überlegen, für mein Seelenheil doch 3 statt nur 2 Paar Unterhosen mitzunehmen: Eine „to wear“, eine „to wash“ und eine „just in case“.

2 Gedanken zu “Das T(rocknungs)rauma

  1. Elisabeth Klinger schreibt:

    So gut beschrieben, hatte das „Gschmäckli“ direkt in der Nase. Pampers gibts bald seit 50 Jahren da sollte es doch auch „one Day Slips „geben.

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