Heute habe ich mich geärgert, gestern auch – und vorgestern erst recht. Die Chancen stehen ganz gut, dass ich mich auch morgen wieder ärgern werde. Warum ich mich ärgere? Ich ärgere mich über die Dinge, weil sie nicht so sind, wie sie meiner Meinung nach sein sollten. Dabei soll man sich ja nicht ärgern sondern gelassen sein und über den Dingen stehen.
Sollte man. Aber mein Ärger und ich haben irgendwie die Plätze getauscht. Mein Ärger steht über mir. Und mein Ärger ist ein echter Workoholiker. Er arbeitet locker 16 Stunden am Tag und macht die Nacht auch gleich mit durch. Zudem hat er die unangenehme Eigenschaft, sich im Sekundentakt zu vermehren, sodass meine Wohnung schon voller kleiner, jedoch rasch heranwachsender, Ärgerchen ist. Diese belagern mein Sofa, sitzen auf meinen Stühlen, planschen in meiner Badewanne und liegen in meinem Bett. Und wenn ich sie wegscheuchen und meine Ruhe haben will, dann lachen sie mir ins Gesicht und sagen frech, dass sie hier zu Hause sind und ich ihnen nichts vorzuschreiben habe.
Ich habe mich gefragt, ob es so eine Art Kammerjäger gegen Ärgerchen gibt. Der könnte dann den Vater Ärger auch gleich mit ausräuchern. Leider habe ich im Telefonbuch keinen gefunden. Ich habe mir auch schon überlegt, umzuziehen, doch habe ich das ungute Gefühl, dass mir die Ärgerchen folgen würden, zumal sie mir ja auch sonst überallhin folgen– am liebsten zur Arbeit, wo sie sich besonders schnell vermehren. Also habe ich mir im Buchladen einen Ratgeber gekauft. In dem steht, man müsse seinen Ärger umarmen. Seither stehe ich morgens um halb fünf auf, umarme alle 157 Ärgerchen (Stand vor 20 Minuten), dann kriegt jeder eine Brezel in die Hand gedrückt und darf sich zum Frühstück hinsetzen oder hinlegen, wo er möchte. Ich selbst frühstücke im Stehen auf dem Balkon.
Ich finde meine Ärgerchen-WG ziemlich anstrengend und die vielen Brezeln gehen allmählich ins Geld. Eigentlich bräuchte ich langsam auch eine grössere Wohnung. Das mit den Umarmungen scheint nicht richtig zu funktionieren. Wahrscheinlich, weil sie nicht von Herzen kommen, denn ich mag diese aufsässigen Brezelfresser nicht, die sich bei mir zu Hause breitgemacht haben. Da muss ich wohl noch an mir arbeiten, wie es im Ratgeberbuch so schön heisst.
Ganz schön – ärgerlich!
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