Eselsbrücken

Wir singen die Stücke am Chorkonert auswendig. „Ja klar, kein Problem!“, sagte ich damals bei meinem Choreintritt zum Chorleiter. Doch damals waren ich und mein Gedächtnis noch ein Jahr jünger. Ausserdem wusste ich nicht, dass zum Repertoire auch ein Romanisches, ein Afrikanisches und ein Russisches Lied gehörten.

Nun übe ich schon seit Wochen die zweite und die dritte Strophe der russischen Serenade. Die erste Strophe ging ja noch, weil wir zum Üben immer die sangen. Aber die zweite und dritte, die gehen mir einfach nicht in den Kopf. Eine Kollegin vom Alt merkt sich den Anfang der zweiten Strophe mit „Salami“. Auf Russisch heisst es aber Salowi, wobei wir uns im Chor nicht ganz einig sind, ob man das wie „Sajowi“ oder „Salowi“ ausspricht. Das „o“ wird sehr offen ausgesprochen, sodass es wirklich fast wie ein schweizerisches „a“ tönt. Und wenn man das „m“ von „Salami“ auf den Kopf stellt, ist es wie ein „w“, also „Salawi“. Dann kommt „dafno“, was ich mir mit der Göttin „Daphne“ merke und das nächste Wort „sapéli“ klingt wie „Seppli“. Allerdings spricht man „sapéli“ mit einem stimmhaften „s“ aus. Auch dafür habe ich eine Eselsbrücke gefunden, wobei es sich schon fast eher um einen Dinosaurierviadukt handelt: Unser Nachbar hiess Seppli und er kam jeweils zu uns zum Klavierüben. Das Klavier war oft verstimmt. Also fassen wir zusammen: „Sapéli“, fast wie Seppli und mit stimmhaftem „s“. So geht das weiter mit der zweiten und dritten Zeile. In der dritten Strophe kommen zwei ähnliche Wörter vor: Zuerst „otschi“ und dann „notschi“. Aber das ist logisch, dass beim zweiten Mal noch etwas dazu kommt, sonst wäre es ja langweilig. Auch dass dieses Etwas ein „n“ ist, leuchtet ein. „n“ wie „Nacht“. Denn „notschi“ heisst auf Russisch „Nacht“. Das ist geschenkt.

Auch die deutschen Lieder haben es in sich. Der Winter scheidet („sch“, wie Schnee), der Frühling vergeht („vergeht“, beginnt wie Frühling mit „f“), das Jahr verweht, also auf ein langes „aaa“ folgt ein langes „eee“. „Vergeht“ hat zwar auch ein langes „eee“, aber das ist ja dann schon vom Frühling verbraucht. Dann wäre da noch die musikalische Aufteilung der Silben. Wie lange sind die „bleibs“ im Abendlied? Zuerst bleibt (wer auch immer) sieben Schläge, also eine ganze Woche, dann fünf, also immerhin noch von Montag bis Freitag, bis er oder sie schliesslich nur noch vier Schläge bleibt, also eine volle Taktlänge. Und so weiter und so fort.

Mitunter gibt’s halt doch noch ein Durcheinander. Zum Beispiel werden die Strophen verwechselt, sodass die Mutter in „Schlaf Chindli Schlaf“ plötzlich Lämmeli schüttelt, oder im Zwischenteil von „Gute Nacht“ singt die Hälfte des Sporans plötzlich „a-ah“ statt „do-do“.

Am Schluss kommt es sicher richtig, schliesslich sind wir gut vorbereitet und mit der nötigen Konzentration und einem Schuss Adrenalin wird es schon klappen. Trotzdem habe ich natürlich ein bisschen den Tötterli und hoffe, dass das Klavier am Konzert nicht verstimmt ist, Seppli auch wirklich kommt und bis über das Abendlied hinaus bleeeeeeeeeeeibt.

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