Peterli

«Das mit dem Goldhamster tut mir immer noch leid». Diesen Titel, ich weiss gar nicht mehr, war er für ein Leseprogramm, ein Buch oder nur eine einzelne Geschichte, hörte ich gestern von den Brauseboys im Wedding, Berlin. Die Brauseboys sind eine Lese-Boy-Group, die seit 15 Jahren im Wedding jede Woche ihre Texte liest. Der Abend war lustig, geistreich und sehr unterhaltend. Und da war eben dieser wunderbare Titel: Das mit dem Goldhamster tut mir immer noch leid. Ich fand ihn toll – bis mir Peterli in den Sinn kam. Peterli, das war der Kanarienvogel meiner Schwester. Ja, war. Peterli ist gestorben. Eigentlich sollte mich das jetzt nicht mehr beschäftigen, denn das ist weit über zwanzig Jahre her und Peterli wäre inzwischen sowieso aus Altersgründen gestorben aber sein Tod damals ist und bleibt ungeklärt und meine Schwester hat ihn natürlich mir vorgeworfen. Denn, Peterli war in meiner Obhut als er eines Morgens vom Stängelchen fiel.

Peterli war knallgelb und ein fantastischer Sänger. Er sang sehr laut und vor allem dann, wenn sein Gesang in Konkurrenz mit anderen Geräuschen stand. So kam es, dass man beim Telefonieren Peterlis Käfig abdecken musste. Wenn es dunkel war, war es für Peterli Nacht und dann sang er nicht. Auch wenn wir Besuch hatten, hatten wir ihn meist abgedeckt, da wir sonst unser eigenes Wort nicht mehr verstanden hätten. Das hat dazu geführt, dass Peterli die meiste Zeit abgedeckt war. Manchmal haben wir ihn sogar mitsamt seinem Käfig ins angrenzende Zimmer gestellt, weil er auch unter dem Tuch noch weiterjubilierte. So kam es, dass der gefiederte Caruso mitunter fast ein bisschen in Vergessenheit geriet. Ich gebe zu, dass wir Peterlis Käfig während der Abwesenheit meiner Schwester, ich weiss gar nicht mehr, wo sie während dieser Zeit überhaupt war, denn für gewöhnlich verbrachten wir die Ferien gemeinsam, vielleicht etwas mehr abdeckten als sonst. Und weil man Peterli dadurch auch nicht hören konnte, ich vielleicht das ein oder andere Mal vergessen hatte, Wasser oder Körner nachzufüllen. Aber vielleicht nehme ich jetzt auch eine Schuld auf mich, die gar nicht die meine war. Vielleicht war Peterli einfach nur altersschwach. Wir hatten auf jeden Fall keine Ahnung, wie alt so ein Kanarienvogel normalerweise wird. Auf jeden Fall lag Peterli eines Morgens tot am Boden des Käfigs. Vielleicht war es auch schon am Tag davor passiert, so genau lässt sich das aus den eben genannten Gründen nicht mehr sagen. Es geschah auf jeden Fall kurz bevor meine Schwester aus den Ferien zurückkam.

Das war mir natürlich mehr als unangenehm und tat mir auch sehr leid. Kam hinzu, dass ich nicht wusste, was ich mit Peterlis Leichnam tun sollte. Ist ein Kanarienvogel Biomüll, darf man ihn in den Hausmüll schmeissen oder muss man ihn zur Tierkadaverstelle bringen? Ich weiss nicht mehr, wie wir mit Peterli verfahren sind. Irgendwie habe ich das verdrängt. Meine Eltern hatten sicher einen Rat gewusst. Das schlimmste aber an Peterlis Tod war der Vorwurf meiner Schwester als sie aus den Ferien zurückkam. Sie war sehr traurig, was mich ehrlich gesagt etwas erstaunte, denn ihre Beziehung zu Peterli vor seinem Tod schien mir nicht so innig. Einen Kanarienvogel kann man ja nicht streicheln. Der hüpft auch nicht vor Freude auf seinem Stängelchen hin und her, wenn du von der Schule oder der Arbeit nach Hause kommst. Und die wenigen Male, die er frei im Wohnzimmer herumflattern durfte, endeten jeweils damit, dass er vor Panik die Ledersofas vollschiss und sich am Schluss kaum wieder einfangen liess. Sein Gesang empfanden wir meist als störend und optisch gefielen uns die Wellensittiche der Nachbarn eigentlich auch besser. Wie dem auch sei, schlimmer als die Trauer meiner Schwester war der Vorwurf, Peterli sei als Folge meiner Vernachlässigung gestorben.

Auf jeden Fall wurde Peterli – im Gegensatz zu den Meerschweinchen – nie ersetzt.  Und ich muss seither damit leben, dass ich möglicherweise an seinem (frühen?) Tod schuldig war.

2 Gedanken zu “Peterli

  1. susanne daniel schreibt:

    PETERLI…Das kommt jetzt reichlich spät aber es ist schön, dass du doch endlich darüber reden kannst liebes Schwesterherz. Also ich war im fau nicht in den Ferien, sondern am Arbeiten. In der Fremde (Glion, oberhalb Montreux, Service im grossen Saal en francais). Peterli hatte schon die Mauser bevor ich abreiste und war dementsprechend wortkarg. Also und soviel zu der gespielten Trauer: Mir hat niemand nichts gesagt- als ich nach meinem Einsatz nach Hause kam u. Unten durch die Garage rein u.Peterlis leeren Käfig auf einer Gestellablage sah. Pietätslos so was. Übrigens über den Maxli könntest du auch einmal schreiben oder Strubeli und Manuela…

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