Der Kampf für die gute Sache

Sie treten meist in Gruppen von vier bis fünf Leuten auf, tragen die gleiche gebrandete Kleidung, sind meistens jung, sehr engagiert und verdammt gut gelaunt. Es sind die Kämpferinnen und Kämpfer für die gute Sache. Jene Menschen, die für Organisationen wie Amnesty International, Unicef, Greenpeace, WWF & Co. auf der Strasse Leute ansprechen, um Geldspenden, Unterschriften oder Mitgliedschaften einzutreiben. Und sie lieben mich alle – was nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruht. Gerade neulich hatte ich wieder so eine Begegnung.

Bei sechs Grad minus patrouillierten neulich vier Kämpfer für die gute Sache von Amnesty-International in gelber Uniform auf dem Platz vor dem Eingang zum S-Bahnhof Hackescher Markt. Ich sah sie schon von Weitem, als ich von den Hackeschen Höfen her kommend auf der anderen Strassenseite wartete, bis die Fussgängerampel auf grün sprang. Sie hatten sich grossräumig auf dem Platz verteilt. Unverhohlen sahen sie hinüber und musterten uns Fussgänger, die demnächst über die Strasse und in ihr Revier kommen würden. Ihre Beute war zum Greifen nah, sie wetzten schon ihre Messer. Zwischen uns floss nur der Berliner Verkehr. Verstohlen musterte ich die anderen Fussgänger neben mir, die ebenfalls über die Strasse wollten. Wer von uns würde es wohl schaffen, unbehelligt zum S-Bahnhof zu kommen und wer würde den Amnesty-Kämpfern ins Netz gehen? Man muss seine Mitstreiter schliesslich kennen, ehe man ins Gefecht zieht. Rechts von mir stand ein Pärchen, das sich an den Händen hielt und in ein angeregtes Gespräch vertieft war. Die würden schon mal unversehrt davon kommen, weil a) zu zweit und b) beschäftigt. Sie würden sich einfach weiter unterhalten und die Amnesty-Kämpfer links liegen lassen. Dann war da noch ein Geschäftsmann so Ende fünfzig, mindestens eins neunzig gross, breitschultrig und mit Handy am Ohr. Auch der fiel weg, weil a) am Handy, b) männlich, und daher nicht so weichherzig c) langbeinig und daher zu schnell, d) zu autoritär. Hinter dem Geschäftsmann stand ein Schüler mit Stöpseln in den Ohren und finsterem Blick, seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Auch er würde locker an der Amnesty-Front vorbeikommen, weil a) kein Geld und b) kein Gehör, schon gar nicht für die gute Sache von Amnesty International. Ich sah mich nach weiteren Leuten um, die demnächst den Fussgängerstreifen überqueren würden aber es war niemand mehr da ausser mir. Das bereitete mir Sorgen, denn ich war a) allein, b) weiblich und daher von Natur aus weichherzig, c) mittleren Alters und daher nicht mittellos, d) ohne Kopfhörer, also mit offenem Ohr für die gute Sache von Amnesty International und e) klein, daher kurzbeinig mit beschränkter Fluchtmöglichkeit. Kurz, ich war die einzige Person am Fussgängerstreifen, die hundertpro ins Beuteschema der gelben Kämpfer passte. Meine Chancen zu entkommen standen verdammt schlecht.

In einer solchen Situation darf man auf keinen Fall Schwäche oder Angst vor dem Gegner zeigen. Der spürt das sofort und greift an. Ich setzte also einen unbekümmerten Blick auf und vermied weiterhin jeden Augenkontakt mit den gelben Kämpfern. Dabei überlegte ich fieberhaft, wie ich der verhassten Inbeschlagnahme entkommen konnte. Einen Moment lang erwägte ich, ganz am Rande des Platzes zu gehen und mich in einem grossen Bogen dem S-Bahnhof zu nähern, um den Amnesty-Kämpfern zu entkommen. Ein verstohlener Blick auf das Amnesty-Heer erstickte diese Hoffnung jedoch im Keim. Die waren alle mindestens einen Kopf grösser als ich und würden mich locker einholen. Ich verwarf die Option aber auch aus Trotz. Der Platz vor dem S-Bahnhof ist schliesslich öffentlicher Raum, und ich würde mich wegen ein paar Amnesty-Kämpfern nicht vertreiben lassen.

Die Ampel sprang auf grün. Ich holte tief Luft, zog meine Kapuze ins Gesicht und gab Gas, wobei mich die anderen, die am Fussgängerstreifen gewartet hatten, schon hinter sich liessen, bevor ich überhaupt die Strasse überquert hatte. Ich gab noch mehr Vorlage und beschleunigte meinen Schritt. Ich hatte erst fünf Meter des Platzes überquert als ich aus den Augenwinkeln sah, wie sich mir eine Amnesty-Frau winkend von links näherte. Ich versuchte zusätzlich, meiner Miene einen finstern Ausdruck zu verleihen. Der Versuch musste bei der Kälte kläglich misslungen sein, denn nun rief die Amnesty-Kämpferin: «Na, die Dame. Sie grinsen ja so fröhlich…» Ich fluchte innerlich. War es wirklich die Kälte, die meine Miene wegen der blendenden Sonne zu einem verzogenen Grinsen eingefroren hatte oder hatte die Amnesty-Frau einfach noch nie etwas von nonverbaler Kommunikation gehört? Man kann nicht nicht kommunizieren, sagt Schulz von Thun. Die gelbe Kämpferin sollte also ungeachtet meiner Miene allein schon an meiner heruntergezogenen Kapuze und am Sturmschritt, mit dem ich den Platz überquerte, erkannt haben, dass ich nicht angesprochen werden wollte. Stattdessen setzte sie ihre Offensive gutgelaunt fort: «…, da haben Sie doch sicher auch einen Moment Zeit um stehen zu bleiben!» Sicher nicht, dachte ich. Zum Glück war mein Gesicht bei minus sechs Grad tatsächlich ziemlich steif, sodass ich gar nichts erwidern konnte sondern nur wortlos weiterstürmte und den sicheren Hafen, den S-Bahnhof Hackescher Markt, erreichte. Ich war den Kämpfern für die gute Sache noch einmal entkommen. Doch für wie lange? Denn, wenn die schon bei minus sechs Grad so kämpferisch sind – wie wird das erst, wenn die Temperaturen wieder steigen?

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